An Jacob, 2007


On Claudia Sarnthein’s For Jacob

In her 1964 novel The Ravishing of Lol V. Stein, Marguerite Duras depicts the life of a young woman from the point of view of her lover, where a sudden loss severs her from her moorings in the world; she encloses herself in herself, ruminating in circles about the traumatic moment, clinging to it in its delicate torpor, penetrating into “the unknown into which this moment opens”:

“[…] that that was what she had to do, that it would always have meant, for her mind as well as her body, both their greatest pain and their greatest joy, so commingled as to be undefinable, a single entity but unnameable for lack of a word. I like to believe – since I love her – that if Lol is silent in her daily life it is because, for a split second, she believed that this word might exist. Since it does not, she remains silent. It would have been an absence-word, a hole-word, whose center would have been hollowed out into a hole, the kind of hole in which all other words would have been buried. It would have been impossible to utter it, but it would have been made to reverberate. Enormous, endless, an empty gong, it would have held back anyone who had wanted to leave, it would have convinced them of the impossible, it would have made them deaf to any other word save that one, in one fell swoop it would have defined the future and the moment themselves. By its absence, this word ruins all the others, it contaminates them, it is also the dead dog on the beach at high noon, this hole of flesh. How were other words found? Hand-me-downs from God knows how many love affairs like Lol Stein’s, affairs nipped in the bud, trampled upon, and from massacres, oh! You’ve no idea how many there are, how man blood-stained failures are strewn along the horizon, piled up there, and, among them, this word, which does not exist, is none the less there: it awaits you just around the corner of language […]”.

A black-framed opening is couched on the picture, which depicts a moment of great inwardness and intimacy: a newborn suckling at the breast of its mother, surrendering and defenceless, skin to skin. Not its groping hands, not its ear, but its eyes and mouth have been effaced by the blackness of the plane, in which centre a floating grey circle marks the point of fixation, gaping deep and penetratingly into the bareness of the body. The impossibility of seeing sharp in focus turns our gaze to grope about like a sonar, tuning us into the depths of hushed silence. The intensity of Claudia Sarnthein’s images For Jacoblies with their being at once images of woundedness, and wounded and wounding images. It seems the three imperatives Lache nicht Weine nicht Zeige deine Zähne nicht [Don’t laugh Don’t cry Don’t bare your teeth] of the accompanying eponymous book might be expanded by a fourth: Mache Dir kein Bild [Don’t venerate the image]. A subversive logic underscores the nine-foliate series: the more iconographic and commonplace the image, the more decidedly it is obliterated – budding pixels perforating it, blanks slicing, bars blackening it, and ultrasound irradiating it. However, the more raw and textured the image – barely tangible behind gauze fabric or imbedded in a stroke of fur, woven in like bast fibre or emerging out of marble – the more the image’s integrity is preserved in itself. Thus, the eradication of glossiness is accompanied by a subtle sense of tenderness towards the textile – as if eyes should be taught to touch. Lache nicht Weine nicht Zeige deine Zähne nicht [Don’t laugh Don’t cry Don’t bare your teeth]: Incantation for withstanding a great pain, by locking oneself off from the inside. The images cradled in the visual poems of the four-part book – loud feverish images of fear, and those jaggedly arising from the fatigue of inconsolability – bear testimony to a violent process of ineffable parting, subject to such imperative consequence with which the sound eloquence of complete images have been crossed out, cropped and punctured.


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Zu Claudia Sarnthein’s An Jacob


In ihrem Roman Le ravissement de Lol V. Stein aus dem Jahr 1964 schildert Marguerite Duras in der Erzählperspektive eines Liebenden das Leben einer jungen Frau, die durch einen plötzlichen Verlust aus den Verankerungen ihrer Welt gerissen wird, die sich in sich selbst einschließt, um den traumatischen Augenblick zu umkreisen, ihn in seiner zerbrechlichen Starre festzuhalten und einzudringen in „das Unbekannte, in das dieser Augenblick mündet“:

[...] es wäre ein für allemal gewesen, für ihren Geist und ihren Körper – der größte Schmerz und die größte Freude der beiden zu einem einzigen Begriff verschmolzen,
der jedoch mangels eines Wortes keinen Namen gehabt hätte. Da ich sie liebe, möchte ich gern glauben, daß Lol darum im Leben so schweigsam ist, weil sie einen winzigen Augenblick lang geglaubt hat, daß es dieses Wort geben könne. Weil es nicht existiert,
schweigt sie. Es wäre ein fehlendes Wort gewesen, ein Hohlraum-Wort mit jener Höhlung in der Mitte, in der alle anderen Wörter begraben gewesen wären. Man hätte es nicht aussprechen, aber es zum Erklingen bringen können. Ungeheuer, ewig, ein leerer Gong, hätte es jene, die aufbrechen wollten, zurückgehalten, hätte sie von dem Unmöglichen überzeugt, hätte sie für jedes andere Wort taub gemacht, in einem hätte es beides benannt: die Zukunft und den gegenwärtigen Augenblick. Da es aber fehlt, dieses Wort, verdirbt es alle andern, es steckt sie an, es ist wie der tote Hund um die Mittagszeit am Strand, ein Hohlraum aus Fleisch. Wie denn sind die anderen gefunden worden? Im Trödelladen welcher im Keim erstickten, mit Füßen getretenen. Abenteuer, ähnlich dem Lol V. Stein, und ach, welch zahlloser Gemetzel, so viele blutige längs des Horizonte aufgereihte Unfertigkeiten, und unter ihnen ist dennoch dieses Wort, das es nicht gibt; es erwartet einen an der Biegung der Sprache [...]

Eine schwarz gerahmte Öffnung liegt auf dem Bild, das einen Moment größter Innigkeit und Intimität festhält: Ein Neugeborenes trinkt aus der Brust seiner Mutter, schutzlos und hingegeben, Haut an Haut. Nicht seine tastenden Hände, nicht sein Ohr, wohl aber Augen und Mund sind getilgt von der Schwärze der Scheibe, in deren Mitte, rund, ein schwimmendes Grau genau jenen Zielpunkt markiert, an dem durchdringliches Sehen tief in die Blöße des Leibes hineinreicht. Doch die Unmöglichkeit, scharf zu sehen, verwandelt den fokusierenden Blick in ein tastendes Echolot, das uns, lauschend, in die Tiefen des Schweigens und Verschwiegenen führt. Die Intensität von Claudia Sarntheins Bildern An Jacob liegt darin, daß sie, als Bilder einer Verwundung zugleich verwundete und verwundende Bilder sind. Die drei Imperative des begleitenden Textbuches Lache nicht Weine nicht Zeige deine Zähne nicht scheinen hier um einen vierten ergänzt: Mache dir kein Bild. Eine subversive Logik durchzieht die neunblättrige Serie: Je ikonographisch und medial geläufiger ein Bild ist, desto entschiedener wird es zerstört – geschrotet mit wuchernden Pixeln, ins Weiße durchschnitten, mit Balken geschwärzt, mit Ultraschall zerleuchtet. Je rauher und textiler dagegen ein Bild ist, nur ahnbar hinter Gazestruktur oder eingebettet in den Strich eines Fells, bastartig eingewoben oder aus Marmorierung auftauchend, desto besser kann es seine Integrität aus sich selbst heraus bewahren. So geht die Zerstörung visueller Glätte mit einem subtilen Sinn für die Behutsamkeit des Textilen einher – als sollten die Augen im Tasten geschult werden. Lache nicht Weine nicht Zeige deine Zähne nicht: Beschwörungsformel, einen großen Schmerz durch Selbstverschluß inwendig zu durchstehen. Die sprachlich gefaßten Bilder des vierteiligen Buches – grelle Fieberbilder des Schreckens und solche, die scharfkantig aus der Ermattung eines Ungetröstetseins kommen – geben Zeugnis von diesem gewaltsamen Prozeß eines nicht erzählbaren Abschieds und unterliegen dergleichen imperativen Konsequenz,
mit der die Beredsamkeit heiler Bilder durchstrichen, abgeschnitten, durchlöchert wird.

Diese Imperative erwachsen nicht aus dem sicheren, satten Grund einer Machtfülle, sondern werden – nicht anders als die nackten Sätze eines Gebetes – aus Ohnmacht hervorgestoßen. Ohnmacht im Widerfahrnis des größten Schmerzes, der die größte Freude in sich verschließt. In den Intervallen der Bilder vernehme ich den Zusammenklang der Verzückung eines überquellenden Herzens, wie sie im vielleicht innigsten Rezitativ und Choral des Bach’schen Weihnachtsoratoriums: „Immanuel o süßes Wort“ angestimmt wird, und dem in Verzweifl ung brechenden Sprechen am Ende des 2. Aktes von Schönbergs Oper Moses und Aron: „O Wort, du Wort das mir fehlt“.

Dr. Birgit Griesecke, BOX Berlin, 2007



Quellen / References
Marguerite Duras: Die Verzückung der Lol V. Stein, Frankfurt 1984, S. 38. (Le Ravissement de Lol V. Stein, Gallimard 1964)
Marguerite Duras, The ravishing of Lol V. Stein, Transl. Richard Seaver Grove Press, 1966, pp.26-27
Arnold Schönberg: Moses und Aron, 2. Akt. In: Sämtliche Werke (Mainz 1978),
Abt. III: Bühnenwerke. Reihe A, Band 8, Teil 2.
Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium (BWV 248), IV. Teil (Am Fest der Beschneidung Christi), 38. Rezitativ mit Choral, Neue Ausgabe sämtlicher Werke (Kassel 1960), Bd. 6.


(Transl. Selene States)